Der Lindwurm von Oberwölz ist eine Drachensage aus Oberwölz in der Steiermark.
Sage[]
Vor langer Zeit soll in der Gegend einst ein kleines, rotgekleidetes Männchen mit kupferfarbenem Gesicht aufgetaucht sein. Dieses kündigte jedem, dem es begegnete, an, am nächsten Tag auf seinem großen Pferd ankommen zu wollen, und die Menschen sollen sich für alle Fälle vorsehen. An der letzten Hütte im Schöttelgraben klopfte es ans Fenster und teilte den Bewohnern das Gleiche mit, bevor es zum mittleren der drei Gebirgsseen auf dem Hohenwart verschwand[1].
Am nächsten Tag regnete es stark und der Schöttelbach begann, anzuschwellen. Das Gewässer wurde immer wilder und riss Bäume und Felsen mit sich, bis schließlich das kleine Dorf, das damals an der Mündung des Schöttelgrabens in das Wölzertal stand, ganz zerstört war. Die Bewohner konnten rechtzeitig fliehen, und als sich die Wassermassen verlaufen hatten, kehrten sie zurück und hofften, ihr Dorf neu aufbauen zu können. Doch da teilten ihnen einige Hirten, die vorgegangen waren, mit, dass ein riesiger Lindwurm mit Flügeln, Panzer und Krallen, aus dem See hervorgekommen sei und bereits einige Rinder und einen Menschen verschlungen hatte[1].
Lange Zeit hauste der Wurm im Tal und es gelang ihm immer wieder, nicht nur Vieh, sondern auch Menschen zu erbeuten. Meist hielt er sich in der Nähe der drei Bergseen auf und sonnte sich. Nur bei Regenwetter tauchte er in den See hinab, genau an der Stelle, an der dieser einen unterirdischen Abfluss haben soll. Oft versuchte man, den Drachen zu töten oder zu vertreiben, doch ohne Erfolg[1].
Schließlich beschlossen die Menschen eine List. Als wieder ein Gewitter anstand, trieb man ein Rind an den See, das der Lindwurm verschlang, bevor er in den See tauchte. Kaum war er abgetaucht, schüttete man gebrannten Kalk in den See, und dieser begann zu brodeln und zu spritzen. Doch der Lindwurm war davon unbeeindruckt und verschwand in seinem Abfluss, nur um nach dem Ende des Gewitters wieder unverletzt aufzutauchen. Nur die Fische starben, und bis heute ist der See frei von jeglichen Fischen[1].
Doch eines Tages kehrte das rote Männchen zurück und klagte, dass seinem Lieblingspferd Gefahr drohte. Es bat jedem, dem Pferd nichts anzutun. Am nächsten Tag gab es erneut ein großes Gewitter und die Seen traten über ihre Ufer. Da er in der Umgebung seines Sees bereits alle Tiere gefressen hatte, war der Lindwurm zu dieser Zeit in der Mitte des Schöttelgrabens, um Beute zu jagen, und wurde dort von dem Unwetter überrascht. So konnte er nicht rechtzeitig in seinen Abfluss zurückkehren und wurde bis in den Größingwalde gespült, wobei die Wassermassen Felsen und Bäume auf ihn stürzen ließen und ihn so verletzten. So geschwächt konnten die Bewohner den Lindwurm ohne große Gegenwehr töten. Sein Skelett soll man noch lange Zeit im Größingwald gesehen haben, groß genug, dass Ziegen in den Augenhöhlen und Rinder unter den Rippen stehen konnten[1].
Ähnliche Sagen[]
Die Idee, einen Drachen mithilfe eines Rinder-Köders und Ätzkalk zu töten, kommt in vielen Sagen vor. Sie kommt bereits im Alexanderroman und im Schāhnāme vor und geht vermutlich auf die Episode von Bel und dem Drachen aus der Bibel zurück[2]. Jedoch wird in den meisten Versionen ein totes Rind mit dem Kalk gefüllt und der Drache taucht ins Wasser, nachdem er dieses unbekömmliche Paket verschlungen hat, woraufhin er entweder aufplatzt und stirbt oder stark genug geschwächt wird, dass er getötet werden kann.
Auch das Motiv des Venedigermännleins, das einen Drachen reitet, kommt in mehreren Alpensagen vor. Meist ist es jedoch das Männchen, das durch das Reiten den Drachen von den Menschen fernhält.
Sagen, in denen ein Drache durch eine Sturzflut verletzt und getötet wird, gibt es im Alpenraum ebenfalls häufiger. Während in manchen, z.B. beim Lindwurm vom Grimmingboden, wie in Oberwölz ein natürliches Ereignis die Flut auslöste, ist in anderen, z.B. beim Drachen von Solčava oder von Rangsburg, der Drache selbst der Auslöser. Die Idee, dass das riesige Skelett des Drachen später Rindern als Unterstand dient, kommt auch in einigen Sagen aus dem Ennstal, dem Ahrntal, Embden und Graz vor.
Quellen[]
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Der Lindwurm von Oberwölz in Hans von der Sann (1890), Sagen aus der grünen Mark, Edition Strahalm (2011), ISBN 9783950273274
- ↑ Beate Kowalski (2009), Bel und Drache, Deutsche Bibelgesellschaft